Wenn Babys ständig schreien (li)Es gibt Geräusche, die gehen durch und durch, die versetzen uns in Alarmbereitschaft. Babygeschrei gehört zu diesen Geräuschen, wenn wir es hören, steigt der Adrenalinspiegel. Braucht das Baby eine neue Windel? Hat es Schmerzen oder Hunger? Oder fürchtet es sich vor einem Monster, das vorbeigeflogen ist...? Wir streicheln es ein bißchen, reden beruhigend auf das Baby ein oder lassen die Spieluhr singen. Und schon bald ist alles wieder gut, das Schreien hört auf? Nicht immer - denn nicht alle Babys lassen sich auf diese Weise beruhigen. Sie schreien weiter, auch wenn es satt ist und trocken auf Mutters oder Vaters Arm gewiegt wird, manchmal stundenlang und völlig außer sich. Für die Eltern edeutet das Stress rund um die Uhr...
Daß Babys vor allem in den ersten drei Lehensmonaten viel schreien ist normal. Sie schreien zumeist, weil sie noch keinen regelmäßigen Schlaf-Wach-Rhythmus haben und weil sie die vielen Reize verarbeiten müssen, die nach der Ruhe im Mutterleib nun auf sie einströmen. Schrei-Babys können sich noch nicht allein eruhigen. Die meisten Babys erreichen ihren "Schreigipfel" in der sechsten Lebenswoche, sie weinen dabei vor allem am späten Nachmittag und in den Abendstunden. Von exzessivem Schreien spricht man erst, wenn ein Baby an mehr als drei Tagen in der Woche länger als drei Stunden schreit - und das über einen Zeitraum von drei Wochen hinaus.
Woran liegt´s...? Schrei-Babys leiden unter einer Regulationsstörung - sie fangen zwar nicht häufiger an zu schreien als andere Babys, aber sie können nicht mehr aufhören. Sie sind unruhiger und leichter irritierbar, es fällt ihnen schwerer, sich selbst zu beruhigen und nach einer wachen Phase in den Schlaf zu finden. Wie es zu dieser Regulationsstörung kommt, darüber gehen die Ansichten in der Kindermedizin auseinander. Ein Faktor könnte viel Streß in der Schwangerschaft sein, den das Baby schon als Ungeborenes gespürt hat. Wenn es dann zusätzlich noch von Natur aus temperamentvoll ist und die Mutter besonders ängstlich oder unsicher im Umgang mit ihrem Kind, könnte dies das Schreien begünstigen.
Weniger zu tun hat das Schreien mit der Geschwister-Konstellation, denn unter den Zweit- und Drittgeborenen gibt es genauso viele Schreier wie unter den Erstgeborenen. Und nur selten mit der Erziehungserfahrung der Eltern, denn manche Mütter haben bereits zwei Kinder ohne Schreiprobleme großgezogen und dann kommt das dritte und brüllt monatelang. Auch wird immer mehr in Zweifel gezogen, dass Blähungen oder Koliken die Ursache sind - sondern eher die Folge langanhaltenden Schreiens, weil das Kind dabei viel Luft schluckt...
Ein weiterer wichtiger Faktor hingegen begünstigt das Schreien, nämlich daß sich das Baby und die Eltern ständig mißverstehen. Liegt das Kind mit weit geöffneten Augen im Bett und schaut ins Leere oder windet es sich im Bettchen hin und her, so deuten die meisten Eltern dies als Aufforderung, das Kind zu beschäftigen. Und tatsächlich scheinen viele Kinder zunächst ruhiger zu werden, wenn man mit ihnen hin und her läuft, sie im Auto durch die Gegend fährt oder ihnen ein Lied vorsingt. Manche Eltern finden so zu absurden Ritualen, die sie fast zu Sklaven ihres Kindes machen - sie setzen das Baby in der Kleinkindschale auf die rüttelnde Waschmaschine, kurven mitten in der Nacht mit dem Kinderwagen herum, stillen alle halbe Stunde oder ziehen stundenlang an einem Faden, den sie an der Wiege befestigt haben...
Was Eltern (lieber nicht) tun sollten... Doch die Schreipause dauert oft nur kurz. Denn eigentlich braucht das Baby nicht mehr Unterhaltung, sondern mehr Ruhe! Vor allem der hektische Wechsel verschiedener Beruhigungstaktiken - singen, streicheln, auf den Arm nehmen, tragen, wieder hinlegen - verstärkt die Überreizung und Übermüdung. Beim Baby wie bei den Eltern. Denn wer bleibt schon gelassen mit einem Dauergeschrei eines Kleinkindes? Die Folge der unruhigen Atmosphäre ist, dass das Kind noch mehr schreit!
In so einer Situation sollten Eltern zunächst für ein bis zwei Wochen genauestens aufschreiben, wann das Kind wach ist, wann es schläft und wann es schreit. Dabei stellt sich erstens oft heraus, daß die Babys in Wirklichkeit vielleicht weniger schreit, als es die Eltern wahrnehmen. Denn schon fünf Minuten Gebrüll können einer gestreßten Mutter nämlich schnell wie eine halbe Stunde vorkommen. Und zweitens stellt man oft fest, daß Schreikinder oft nur acht oder neun Stunden am Tag schlafen - das sind vier bis fünf Stunden weniger als der Durchschnitt aller Säuglinge. Und das ist entschieden zuwenig.
Und wie bringt man einen Schreihals zum Schlafen? Dies kann durch weniger Reize und einen geregelten Tagesablauf mit festen Schlaf-, Fütter- und Spielzeiten begünstigt werden. Doch nicht immer sind feste Essensintervalle sinnvoll, weil Kinder durch ritualisiertes Essen schlechter lernen, ihr Hungergefühl wahrzunehmen. Bei Schreibabys jedoch kann die Ruhewirkung eines geregelten Tagesablaufes jedoch erst mal vorrangig zählen, alles weitere kann man auch später erlernen.
In den ersten Lebensmonaten fühlen sich die meisten Babys mit einem Vier-Stunden-Takt am wohlsten: In dieser Zeit wechseln sich Hunger, Aufmerksamkeit und Schlafbedürfnis ab. Das Baby zeigt dabei durch Mimik, Körpersprache und verschiedene Arten zu weinen, was es gerade braucht. So steckt hinter forderndem Schreien oft Hunger, hinter Quengeln und Nörgeln eher Langeweile. Erste Müdigkeitssignale sind zum Beispiel das Hin- und Herwinden auf dem Arm, Augenkneifen und natürlich Gähnen. Dann gehört das Kind ins Bett, am besten in einen abgedunkelten, ruhigen Raum mit einer kleinen Lichtquelle, um vorbeifliegende Monster abzuhalten...
Ein paar Tips:- Möglichst frühzeitig auf die ersten Müdigkeitssignale reagieren. Hat sich das Baby erst eingeschrien, wird es immer schwieriger, es zu beruhigen.
- Schreit das Baby weiter wenn es ins Bettchen gelegt werden soll, sollte es zunächst ganz ruhig auf dem Arm gehalten werden. Keine Rituale mehr, die Unruhe verbreiten, z.B. wie schnelles Schaukeln, Hin- und Herlaufen, Singen oder laute Musik. Besser ist, es statt dessen auf sanfte und harmonische Art zu trösten, z.B. leicht wiegen, leise singen oder beruhigend langsam streicheln. Letzteres in dieser Situation aber nur so viel wie nötig und so wenig wie möglich.
- Wichtig ist, mindestens 20 Minuten bei einer Beruhigungstaktik zu bleiben, also zum Beispiel leises Singen. Unbedingt vermeiden sollte man den schnellen Wechsel verschiedener Methoden!
- Wird das Kind ruhiger, kann man es vorsichtig ins Bettchen legen und dabei das sanfte Streicheln oder Singen fortsetzen.
- Dem Kind einen vertrauten Gegenstand (Teddy, Schnuller) zu geben, hilft den meisten Babys. Auch wenn sie fest in eine Decke gewickelt werden, denn so fühlen sie sich geborgen wie im Mutterleib.
- Noch eine Weile sollte man dann neben dem Bett sitzen bleiben oder sich darüber beugen, bis das Kind langsam in den Schlaf findet. Wichtig ist, dass es die Nähe der vertrauten Person spürt.
- Wenn beim Hinausgehen das Kind wieder anfängt zu jammern und zu weinen, sollte man unbedingt erst einen Moment warten, bevor man wieder ins Zimmer geht. Wenn das Baby noch nicht richtig weint, beruhigt es sich vielleicht von selbst. Auf jeden Fall verhindert man damit aber die direkte Kopplung im Erfahrungsschatz des Kleinkindes "wenn ich weine/schreie, kommt Mama sofort"
Diesen Konditionierungseffekt gilt es auch ansonsten zu vermeiden: Schreit das Kind aus Gründen, die nicht ein sofortiges Einschreiten der Eltern unbedingt erforderlich machen, sollte man durchaus das Kind erst mal ein paar Minuten schreien lassen - und diesen Zeitraum langsam immer mehr steigern. Andernfalls lernt das Kind unweigerlich sein Schreien gegen die Eltern einzusetzen - ab etwa 3 Monate können Kinder dies bereits konditioniert einsetzen. Wichtig ist dann aber, dass bei wirklich wichtigen Nöten die Eltern sofort da sind, am Weinen kann man das als Eltern ziemlich genau heraushören. Dann wird auch nicht das wichtige Ur-Vertrauen gestört, wenn man Kinder ansonsten durchaus mal schreien lässt.